Gärtnern 1930 (oder für Hipster: Retro-Gardening)

Ab morgen stecke ich wieder komplett in Proben und Konzerten und mein Garten muss bis Montag mit Minimalpflege auskommen. Mein Blog auch. Deshalb hier noch ein paar Gedanken, die mir auf meiner Zugfahrt am Sonntag kamen:

In der Vorkriegszeit gleichte der Gemüseanbau dem heutigen biologischen Gärtnern. Chemischer Pflanzenschutz war nicht üblich, Selbstversorgung das Ziel, es gab eine geringere Sortenauswahl aus natürlicher Züchtung. 
Neuerlich meine Oma (*1921) befragt, die meine erfahrenste Kompetenz fürs biologisch-historische Gärtnern ist, wie denn die Ausfallrate im Garten war - damals, in den 20ern und 30ern: „Es lief eigentlich immer. Aber wir hatten ja auch einen richtig großen Garten und noch ein Feld, da fielen kleinere Ausfälle nicht so auf. Wir hatten auch Netze über den Möhren und dem Kohl [Netze aus Flachs, wohlgemerkt]. Und wenn die Schnecken die Erdbeeren gefressen hatten, hatte man halt Pech.“
Sie kann sich auch noch an Jahre von Kartoffelkäferplagen erinnern, wenn des nachts die ganze Familie mit Lampen aufs Feld zog und die Käfer einzeln absammelte. Gleiches galt für Schnecken. 
Derlei hört man auch heute von den Bio-Gärtnern. Auch altgedienteLagermethoden erleben heute ein Revival: Im Haus gab es im Keller keinen festen Boden, sondern nur gestampfte Erde. Das erzeugte ein lagerfreundliches Klima für Obstregale und es gab „Sandbeete“, wo Rüben, Beten und Möhren vergraben wurden. Für den Winter hat man Sauerkraut gemacht und Gemüse eingekocht. Was mich überraschte: damals war es gar nicht unüblich, selber Blechdosenkonserven (!) einzukochen. Von den Aktionen „wir haben manchmal ein halbes Schwein gekauft und daraus Wurst und Fleischkonserven gemacht“ will ich jetzt als Vegetarierin nicht anfangen.

Es geht mir gar nicht um eine „früher war alles besser“-Message. Wenn man das gegenüber meiner Oma behauptet, bekommt man vehementen Widerspruch zu hören, denn moderne Erfindungen wie Zentralheizung, Waschmaschine, Kühlschrank, Elektroherd und Medien haben das Leben laut ihrer Aussage wesentlich angenehmer und einfacher gemacht. Auch ihren Garten hat sie vor etwa 20 Jahren aufgegeben und kein Problem damit, im Supermarkt und auf dem Wochenmarkt ihre Lebensmittel zu kaufen. 
Aber nach rund 40 Jahren Nahrungsmittelindustrie und konventioneller, Chemie- und Gentechnik-gestärkter Landwirtschaft, zahlreichen Lebensmittelskandalen und Erkenntnissen über die Negativfolgen für Umwelt, Tier und Mensch gibt es ein spürbares Bedürfnis, punktuell – wie z.B. bei der Erzeugung des eigenen Gemüses – wieder zurück zu altbewährten bzw. nachhaltigeren Methoden zu kehren, soweit es sich denn mit unserer modernen Lebenswelt vereinbaren lässt.
Ehrlich gesagt, sind auch die Probleme ähnlich: Bio-Erzeugnisse sind teurer, nicht jeder kann sie sich in entsprechender Menge leisten. Ebenso gibt es nicht überall nahe Bezugsquellen dafür (der nächste Wochenmarkt lag auch für meine Oma damals 20km entfernt...). Für hochwertiges, gesundes Gemüse lohnt es sich also durchaus, sich die Hände schmutzig zu machen. Vielleicht nicht zur Selbstversorgung, wohl aber als Grundlage oder als Extra-Portion.

Wenn man eine essbare Pflanze mal selbst gesät, aufgezogen, aus der Erde geholt und verspeist hat, stellt man sich zuerst jede Menge Fragen hisichtlich der Lebensmittelindustrie. Dann werden einem einige Dinge klar. Und dann macht man manches anders.

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