"Ich hab's doch gesagt!" Oder: Die Corona-Pandemie aus Gärtner-Sicht

Seit ich meinen Garten habe und Gemüse anbaue, schwingt auch immer ein wenig die Idee mit, wenigstens die Fähigkeiten zu erwerben, sich sein Essen selbst anbzubauen. Der Selbstversorger-Gedanke. Zwar würden unsere Flächen niemals dafür ausreichen, aber zu verstehen, wie aus Saatgut etwas Essbares wird, was dabei alles schief laufen kann und wie man den gängisten Problemen begegnen kann, sorgt nicht nur für eine ungleich größere Wertschätzung gegenüber Nahrungsmitteln insgesamt, sondern auch für ein irgendwie ruhigeres Gefühl. Ich habe immer zum Mitbewohner gesagt: bricht die Hungerkrise aus, haben wir noch das Gärtchen. Und schlimmstenfalls könnten wir uns auch teilweise autark organisieren. Der Garten ist auch eine Art Trainingslager für Krisenzeiten - oder alternative Lebensmodelle.

Für den Mitbewohner ist das ein Grund seines Interesses am Garten. Gleichzeitig zerstört er den Gedanken regelmäßig mit dem Hinweis, dass wir im Falle einer "echten" Krise mit dramatischem Mangel unseren menschenfreundlich-offenen Garten schlichtweg nicht gegen Plündern schützen könnten.
Das stimmt.
So wie aus öffentlichen Toiletten gerade das Klopapier geklaut wird, so würde man uns die Möhrchen aus dem Beet rupfen. Nicht umsonst steht in jedem, wirklich jedem historischen Gartenbuch über die Anlage eines Gartens, dass man einen hohen Zaun, besser noch eine Mauer um seinen Garten ziehen soll, um ihn gegen menschliche und tierische Diebe zu schützen.

Aber genug der apokalyptischen Gedanken. Es fehlt uns ja faktisch an nichts. Hier auf dem Land gibt es sogar noch Toilettenpapier. Über unseren Garten werden wir uns vielleicht freuen, wenn im Sommer die Gemüsepreise krisenbedingt anziehen, aber er wird wohl keine essentielle Rolle spielen müssen. Die Landwirte und Landwirtinnen kommen noch halbwegs zurecht mit Aussaat und Ernte, lediglich das Gemüse aus Südeuropa könnte dieses Jahr merklich anders in unseren Regalen liegen: weniger, teurer, gar nicht?

Aber hier ist der Knackpunkt: bei den Hamsterkäufen, die ich in meiner Umgebung beobachten durfte, fiel mir eines auf: die Menschen haben kaum ein Gefühl dafür, welche Lebensmittel woher kommen und wie lange sie haltbar sind. Gehamstert wurden also Trockenwaren und Konserven. Sicher eine gute Idee, wenn man sich mehrere Jahre in einem Atombunker verstecken muss. Aber schnell öde, wenn man mal für wenige Wochen sinnvoll bevorraten will.
Dass man Bananen oder Tomaten nicht lange lagern kann, ist jedem klar. Aber dass man ohne weiteres einen Kohlkopf, Kohlrabi, Äpfel etc., also heimisches Gemüse, bei guten Bedingungen durchaus Wochen und Monate aufbewahren kann, schien kaum jemand zu wissen. Man muss sich eigentlich nur die Frage stellen, wie Oma das gemacht hat, als es noch keine Lieferketten aus Südeuropa und Übersee gab: die Menschen haben gegessen, was hierzulande gewachsen ist. Und im Winter haben sie gegessen, was dann noch wuchs oder aber lagerfähig war: Spinat, Feldsalat, Lauch, Wurzelgemüse und Kohlgemüse.

Folgendes Beispiel: Da ich dummerweise unmittelbar vor der Grenzschließung dienstlich in Frankreich war, musste ich damit rechnen, von meinem Dienstherrn unter Quarantäne gestellt zu werden. Der Mitbewohner hat vorsorglich einen kleinen Vorrat für knapp zwei Wochen angelegt, mit dabei: Kohlrabi, Blumenkohl, Möhren und Äpfel. Sauerampfer und ein bisschen Mangold standen ja sogar noch im Garten. Die Quarantäne blieb mir erspart, aber wir kamen trotzdem fast zwei Wochen ohne Supermarkt (und ohne Dosengemüse) aus. Lediglich Salat haben wir irgendwann mal eingekauft.

Wer einen Küchengarten bewirtschaftet, schätze ich, geht mit der aktuellen Krisensituation hinsichtlich der Versorgung noch entspannter um als andere, denn man kann sie besser ein- und abschätzen. Ich überblicke auch, was hierzulande angebaut wird und wächst und das versetzt mich in eine eher entspannte Stimmung, denn es wird keine wesentlichen Ausfälle geben: im Sommer gibt es Tomaten, im Winter Kohl, wie jedes Jahr.

Ich kann auch ein anderes Szenario zeichnen, das mir meine Oma mal geschildert hat: als sie im Mai '45 aus der Evakuierung nach Hause kamen, hatten sie ein echtes Problem: es war nichts gesät, nichts vorgezogen, nichts gepflanzt, denn es war ja niemand da gewesen, der es hätte machen können. Und Mai ist für einen Großteil der Gewächse schon zu spät, so dass selbst Menschen auf dem Land, für die eine gewisse Selbstversorgerwirtschaft üblich war, anfingen zu hungern.
Aber die jetzige Krise ist eine völlig andere Situation. Es gibt - versorgungstechnisch - keinen Grund zur Panik.

Fazit: Ich hab's ja immer gesagt, das Wissen und die Erfahrung, die wir in unserem Garten machen, wird nochmal für etwas gut sein und wenn es nur zur Beruhigung der Nerven ist.

Ok, Toilettenpapier können wir tatsächlich nicht anbauen. Aber irgendwann wird auch dem letzten auffallen, dass man das nicht essen kann.


Kommentare

  1. Was für ein wundervoller Artikel. Er /du sprichst mir aus der Seele! Es stimmt, sommers Tomaten, winters Kohl. Aber das akzeptieren so viele leider nicht und wenn sie dann im Winter keine Tomaten zu Spottpreisen bekommen würden, wäre das schon ein Ernährungsenpass.

    Mich wundert auch, was sie Leute alles Kaufen und vor allem , wie sie, die nie auch nur im Geringsten Vorratshaltung betrieben, das jetzt bewältigen wollen. Allein schon vom Platz her. Und ich bin mir ganz sicher, nach der schlimmsten Phase der Krise, wenn wir wieder normal raus dürfen, landen tonnenweise wertvollste Lebensmittel im Müll, weil sie keiner ist. Du sagst es, wochenlang Bohnen und Dosenravioli, das macht keiner freiwillig mit. Die einkaufswagen voller Aufbackbrötchenpackungen sind dann längst verfallen und landen im Müll. Bedürftige hungern jetzt, die Raffgierigen horten LEbensmitttel und lernen bestimmt nicht in dieser kurzen Kriese deren Wert zu schätzen. Also ab in den Müll damit und den Lieferservice angerufen.....Und dann sehe ich dass Hefe landesweit ausverkauft ist. Du meine Güte, jahrelang backt keiner Brot und Brötchen selbst, wenn dann laut Pinterest und Co nur "superschnelle, fluffige Brötchen mit nur 2 Zutaten plus Backpulver". Was zum Teufel, so frage ich mich, wollen die ganzen Menschen ohne selbst erarbeitetem Wissen, wie du dir es so schön aneignest, also mit Mehl und Hefe? Das Ergebnis, egal wie gut es ist, wollen sie doch eh nicht essen, weil sie gar nicht mehr wissen, wie richtiges Brot und Brötchen schmecken und wie deren Konsistenz ist.

    ich bin auch froh einen Teil unseres Essens selbst anbauen zu können und dass es nicht geht wie damals '45, bin ich fleißig am Vorbereiten, Vorziehen und Sähen.
    Ich wünsche dir und deinem Mitgenossen viel Spass im Garten, der Achim

    PS früher haben wir Schneckenzäune, zum Teil sogar mit batteriebezogenem Strom ums Beet gestellt. Vielleicht müssen wir uns bald wirklich gegen ganz andere Gemüsediebe absichern. Dann wird der Elektrozaun halt ein wenig höher.....;-)

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